Die Frage nach der Sicherheitskultur
Eine hohe Sicherheitskultur im Setting einer ärztlichen Praxis zu erreichen, ebenso wie in einem Krankenhaus, einer Reha-Einrichtung oder einem MVZ, sollte unser aller Ziel sein. Jedoch erscheint der Weg dorthin häufig unklar und, falls schon beschritten, mühsam und steil. Sicherheitskultur kann nicht verordnet werden, sondern ist das Gesamtresultat aller medizinischen (ärztlichen und pflegerischen) und nichtmedizinischen (Verwaltung, Logistik & Einkauf) Handlungen, die wiederum maßgeblich durch die individuellen Einstellungen und Haltungen der Mitarbeiter geprägt werden. Kritisch wird es, wenn auf großen Infoflyern für Patienten von einer hohen Sicherheitskultur gesprochen wird, ohne näher zu erläutern, an welchen Argumenten diese Aussage fest gemacht wird. Sicherheitskultur beschreibt primär neutral einen Teilaspekt der vor Ort herrschenden Betriebskultur, die sowohl fehlerresilient im Sinne einer hohen Patientensicherheit sein kann, als auch stark fehleranfällig als Ausdruck einer hohen Schadensquote bzw. Komplikationsrate. Betriebskulturen können durchaus unterschiedlich geprägt sein, zum Beispiel von sachlich & kühl bis hin zu jovial & warmherzig und dennoch eine gleich hohe, fehlerresiliente Sicherheitskultur vorweisen.
Maßgeblich wird die vorherrschende Sicherheitskultur durch die Führungskräfte geprägt. Führungskräfte leben vor, was dann zum Maßstab für das Handeln der anderen wird. Sie treffen zudem die strategischen Entscheidungen, zum Beispiel zur Durchführung von Risikoanalysen bzw. Fehlerursachenanalysen und finanzieren Maßnahmen zur Reduzierung von Patientenrisiken.
Die Entscheidung zum Handeln
Die Leitungen von Arztpraxen, i.d.R. sind dies die ärztlichen Praxisinhaber, aber auch zunehmend übergeordnete, nichtärztliche kaufmännische Leitungen größerer Praxisverbünde, tun gut daran, sich Ihrer Verantwortung hinsichtlich der Gewährleistung einer hohen Patientensicherheit bewusst zu werden. Der Patient hat Anspruch auf eine Behandlung gemäß Facharztstandard, bei der alle voll beherrschbaren Risiken auch voll beherrscht werden. Was dies im Einzelfall bedeutet, kann nicht immer vorweg festgelegt werden. Kommt es zu einem Schadenfall, wird häufig ex ante durch medizinische Sachverständige die Frage hinsichtlich einem schuldhaften Verhalten der Beteiligten beantwortet. Zunehmend urteilen Gerichte im Sinne eines Organisationsverschuldens. Dies bedeutet in ihrer letzten Konsequenz, dass die ärztliche Leitung haftbar für ein fehlerhaftes Verhalten ihrer Angestellten gemacht werden kann, obwohl die Führungsperson nicht unmittelbar mit dem fehlerhaften Vorgang befasst war. Aufgrund dessen wird es zunehmend wichtig ein umfassendes klinisches Risikomanagement zu etablieren. Dieses Managementsystem sollte jedoch gut in die bereits etablierten Prozesse integriert werden und lediglich die Perspektive des ärztlichen Handels erweitern.
Die Führung und das Team
Es wird schnell klar, dass eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung ausschließlich im Teamverbund erfolgen kann. Können im Krankenhaus noch ärztliche Spezialisten zu Rate gezogen werden, ist dies im Setting einer Arztpraxis häufig nicht mehr möglich. Zudem werden zum Teil komplexe Aufgaben von medizinischen Fachangestellten oder völlig ungelernten Hilfskräften durchgeführt. Insbesondere in diesem Setting kann bei Verletzung der Aufsichtspflicht bzw. unsachgemäßer Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf nicht ärztliches Personal schnell eine fehleranfällige Sicherheitskultur entstehen. Dies muss der ärztlichen oder kaufmännischen Führung bewusst sein. Argumente des Spardrucks oder des Personalmangels sind im Falle einer juristischen Aufarbeitung von Schadenfällen völlig nebensächlich und schaden eher dem Vorbringenden. Hinsichtlich der Erfüllung der facharztgerechten Patientenbehandlung ist stets die ärztliche Führung verantwortlich. Auch die Mitarbeiter können das Ihre zu einer hohen Sicherheitskultur beitragen. Das Team ist wachsam bei der Detektion möglicher und bereits eingetretener Fehlern und korrigiert diese schnellstmöglich. Es besteht eine hierarchiefreie Kommunikation über alle Berufsgrenzen hinweg. Gut funktionierende Teams haben einen positiven Teamspirit, der motiviert und gleichzeitig sensibilisiert für alle betrieblichen Abläufe. Regeln werden so besser eingehalten oder sind mitunter ganz obsolet aufgrund einer hohen intrinsischen Compliance.
Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit
Häufig wird das Kostenargument vorgeschoben, um Maßnahmen im Rahmen des klinischen Risikomanagements als zu teuer oder zeitlich aufwendig abzutun. Es zeigen nun aber erste große internationale Studien, wie zum Beispiel die OECD-Studie von 2017, dass gerade im Setting eines Krankenhauses, diese Wahrnehmung völlig falsch ist. Mehr und mehr wird erkannt, dass Maßnahmen, zum Beispiel zur sicheren Medikation zu einer beträchtlichen Kostenersparnis führen. Die Hygiene und das Infektionsmanagement, die Behandlung chronischer Wunden sowie multimorbide Patienten mit Harnwegskatheter sind weitere Beispiele, in den Studien gezeigt haben, dass Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind, sondern miteinander in enger Korrelation stehen.
Fazit
Ziel ist die Etablierung einer fehlerresilienten Sicherheitskultur, die im idealen Fall ohne ein sanktionierendes Regelwerk sowie vorgelebt durch die Führung und praktiziert durch intrinsisch motivierte Mitarbeiter erreicht wird. Dazu benötigt es vorweg ein starkes Committment der Führung um bedarfsgerechte und effektive Maßnahmen einzuleiten. Gut funktionierende Teams sind hierbei in jeder Hinsicht der Schlüssel zum Erfolg. Werden Prozesse dahingehend reorganisiert und anhand valider Kennzahlen gesteuert, wird nicht nur die Patientensicherheit sondern ebenso die Wirtschaftlichkeit signifikant verbessert.
Gerne unterstützen wir Sie bei Ihrer Risikoanalyse. Kontaktieren Sie uns unter Email: ae@euteneier-consulting.de