Richtige Entscheidungen treffen – Der Faktor Mensch in der Patientenversorgung

Richtige Entscheidungen treffen - Der Faktor Mensch in der Patientenversorgung

Der Menschliche Faktor

Irren ist menschlich: In der Medizin wird geschätzt, dass 70 –80 % aller Fehler auf menschliche Ursachen – den Faktor Mensch – zurückzuführen sind. In beiden in nächsten Absatz aufgeführten Fällen finden sich Merkmale typischer menschlicher Fehlentscheidungen. Retrospektiv wären beide Diagnosen durch den Einsatz geeigneter Untersuchungen und vorhandener apparativer Diagnostik leicht zu erkennen gewesen. Doch was sind die Ursachen für solch gravierende Fehlentscheidungen? Die Luftfahrt hat seit den späten 1970er Jahren erkannt, dass die meisten Flugunglücke nicht durch technisches Versagen entstehen, sondern durch menschliche Fehlurteile, respektive fehlerhafte Handlungen. Dennoch wird auch heute noch den Medizinstudierenden und Pflegeschülern fast ausschließlich medizinisches Fachwissen vermittelt. Kompetenzen, um die eigene Fehleranfälligkeit und Risiken für Fehlurteile frühzeitig zu erkennen, sowie richtige Entscheidungen in komplexen Situationen, mit nur wenigen Informationen, zu treffen, werden kaum vermittelt.

1. Fallbeispiel
Verspätete Therapie: Ein 54-jähriger alkoholisierter Patient suchte am Donnerstagabend die Notfallambulanz wegen Nackenbeschwerden und Unwohlsein auf. Als weitere Beschwerden gab er ein Kribbeln im rechten Daumen an. Es fand sich eine Prellmarke an der Stirn und eine etwas eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule. Er roch stark nach Alkohol, sein Blutalkoholspiegel betrug 1,5 Promille. Der Patient wurde stationär auf die internistische Station aufgenommen. Im Laufe des Wochenendes entwickelte der Patient zunehmend Lähmungen beider Arme. Durch einen hinzugerufenen Neurologen und Unfallchirurgen wurde eine instabile Halswirbelfraktur auf Höhe C6/7 festgestellt. Noch am selbigen Tag wurde die HWS des Patienten osteosynthetisch stabilisiert. Es blieben permanente Lähmungserscheinungen beider Arme.

2. Fallbeispiel
Tödliche Fehldiagnose: Ein 5-jähriges Kind mit Migrationshintergrund verstirbt zuhause, nachdem die Eltern am Abend zuvor die Notaufnahme mit dem Kind aufgesucht hatten. Die Eltern gaben an, dass es mehrmals erbrochen und Bauchschmerzen habe. Es wurde mit Schmerzzäpfchen versorgt und wieder nach Hause entlassen. Als Todesursache wird eine nicht erkannte Blinddarmperforation vermutet, die von der Notaufnahme-Ärztin eines mittelgroßen Krankenhauses nicht erkannt wurde. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung. Die Assistenzärztin wurde freigestellt.

Ökonomischer Druck und Ressourcenknappheit

Hauptursachen für Fehler und Regelverstöße liegen in der Verdichtung der Arbeitsprozesse und Zeitknappheit, oftmals ungeregelten Schnittstellen und unklaren Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Fachprofessionen. Überfüllte Notaufnahmen, 10 und mehr Bereitschaftsdienste im Monat, der Mangel an qualifizierten Personal aufgrund Krankheit und Fluktuation verschärfen diese Problematik. Fehlen wichtige diagnostische Ressourcen wie ein 24-Stunden verfügbares CT oder wird der Zugriff auf Patientendaten durch ein umständliches Krankenhaus-Informationssystem erschwert, werden Befunde primär nicht erhoben oder übersehen.

Entscheidungen treffen in Unsicherheit

Über allem medizinischen Handeln schwebt stets das Damoklesschwert der Unsicherheit. Anders als in der Luftfahrt fehlen dem Arzt häufig eindeutige Indikatoren und Parameter, die ihm zweifelsfrei die diagnostische Sicherheit geben, was die Ursache der Patientenbeschwerden betrifft. Differentialdiagnostisches Vorhergehen ist stets angebracht, jedoch ressourcenintensiv und aufgrund fachlicher Subspezialisierung oft nicht umzusetzen. So werden aus verständlichen Gründen der Ökonomie Entscheidungen vertagt bzw. Untersuchungen unterlassen. Ressourcenknappheit (personelle, apparative, zeitliche) und ökonomische Zwänge verleiten den Arzt zur Anwendung von Erfahrungswissen bzw. Heuristiken. Heuristiken suggerieren oft eine Scheinsicherheit, die in manchen Fällen in Folge von Fehlentscheidungen zu tragischen Konsequenzen führen.

Kognition, Automatismen & Heuristiken

Urteilsheuristiken und kognitive Verzerrungen

Die Erkenntnisse aus der Psychologie haben uns zu verstehen gegeben, dass unser Denken nicht frei von Fehlurteilen ist. Daniel Kahnemann, US-amerikanischer Psychologe und Wirtschafts-Nobelpreisträger erforschte über Jahrzehnte menschliche Urteilsheuristiken und kognitive Verzerrungen. Gerd Gigarenzer, deutscher Psychologe und Direktor der Abteilung „Adaptives Verhalten und Kognition“ am Harding-Zentrum für Risikokompetenz des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, sowie viele weitere Psychologen haben die menschliche Urteilsfindung untersucht.
Grob vereinfacht beschrieben besteht gemäß Kahnemann unsere Denkfunktion aus zwei Denkmustern. Dem System 1 oder dem schnellen Denken, welches assoziativ, effizient und effektiv ist. Es sucht nach Mustern, Kohärenzen, verarbeitet Eindrücke schnell und macht Vorschläge. Es überzeugt zudem das System 2, welches i.d.R. diese Vorschläge annimmt. Das System 1 begibt sich häufig auf die Suche nach Ähnlichkeiten mit Stereotypien und tut sich schwer mit der Verarbeitung von statistischen Fakten. Dementsprechend ist das schnelle Denken sehr anfällig für systemische Fehler und im ständigen Konflikt zwischen Intuition und Logik. Das System 2 oder das langsame Denken baut auf logischem Denken auf. Es funktioniert langsam und ist oftmals anstrengend. Es erfordert Gedankenkonstruktionen und die Kombination von Informationen. System 2 benötigt viel Selbstkontrolle und Selbstreflexion und übernimmt bei erkennbaren, drohenden Fehlern das Kommando, indem es das System 1 überstimmt. Es ist schlichtweg das Gegenmittel für Fehlentscheidungen des System 1.

Heuristik–Fallen

Es liegt auf der Hand, dass Situationen mit hohem Handlungsdruck das Erzwingen schneller Lösungen durch Investition in einfache Lösungen begünstigt. Die langwierige unbequeme Suche nach nahezu sicheren Antworten und nach spezifischen, weil seltenen Lösungen, wird in Bevorzugung einer bequemen Antwort und „Routine-Lösung“ (Heuristik) aufgegeben. Die Antwort ist dann einfach, schnell aber möglicherweise falsch.
Verhaltensforscher haben eine Vielzahl möglicher heuristischen Verzerrungen und Ursachen für Fehlentscheidungen identifiziert. Einige Wichtige seien hier stichpunktartig aufgelistet.

Verfügbarkeitsheuristik

Nach dem Hammer – Nagel – Prinzip werden Diagnosen bevorzugt innerhalb des eigenen Beurteilungsrahmens gestellt. Der Rückenschmerz kommt für den Orthopäden von der Wirbelsäule, für den Internisten ist er ein Zeichen des Herzinfarkts und für den Gefäßchirurgen das pulsierende Aortenaneurysma. So bleibt jeder Arzt in seinem eigenen fachlichen Denkrahmen verhaftet, andere Möglichkeiten, außerhalb des eigenen Erfahrungsrahmens werden nicht berücksichtigt.

Affektheuristik

Emotionen wie Furcht, Zuneigung und Abneigung können Anlass für Fehlentscheidungen sein. Gut gelaunt und entspannt wird vermutlich dem anstrengenden Untersuchungsvorgang des Patienten eine intensivere Aufmerksamkeit geschenkt, als wenn man übermüdet, hungrig oder nach einem Streit mit einem Kollegen „ausgepowert“ sein Tagesprogramm abspult. In der Luftfahrt spricht man von folgenden 5 gefährlichen Grundhaltungen, die die Fehleranfälligkeit und Tendenz zu Regelverstößen deutlich erhöhen.
Es sind: Fehlende Reflexions- und Kritikfähigkeit, Impulsivität, Gefühl der Unverwundbarkeit, Macho-Gehabe und Resignation

Ankerheuristik

Dieser Priming – Effekt durch suggestive „plausible Hinweise“ führt dazu, dass der Arzt sich unwillkürlich nur auf einem bestimmten, eingeschränkten Bereich begrenzt (sich an einen Anker halten). So können z. B. aufgrund der Fehleinschätzung eines Notarztes bei der Einweisungsdiagnose wichtige Differentialdiagnosen erst gar nicht weiter verfolgt werden. So wurden z. B. die massiven Blutdruckschwankungen bei einem teils somnolenten Patienten vom Notarzt als Herzrhythmusstörung interpretiert und in der Klinik als solche weiter behandelt und das lebensbedrohliche dissezierte Aortenaneuryma lange Zeit übersehen.

Selbstüberschätzung (Selfconfidence) und Confirmation Bias

In diesem Fall werden den eigenen Entscheidungen und Handlungen meistens zu hohe Erfolgschancen zugeschrieben, während den Meinungen Anderer weniger Gültigkeit zugesprochen wird. Durch dieses übermäßige Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Entscheidungen können autoritätsbasierte Entscheidungen zu „strong but wrong decisions“ führen. Argumente für die eigene Entscheidung werden bevorzugt, Gegenargumente unter den Tisch gekehrt. Die Risiken der eigener Entscheidungen werden dabei ebenso unterschätzt bzw. ausgeblendet, die Risikobewertung fremder Entscheidungen fällt dagegen in der Regel hoch aus.

Konsistenzbestreben

Einem ähnlichen Mechanismus folgt das natürliche Bestreben konsistent mit einmal getroffenen (eigenen) Entscheidungen zu handeln. Kognitive Dissonanz wird möglichst vermieden und es besteht die Tendenz Informationen zu ignorieren, die nicht zum bisherigen Vorgehen („disconfirming evidence“) passen.

Framing

Die Art und Weise wie Informationen präsentiert werden, der Bezugsrahmen, hat großen Einfluss darauf wie diese Informationen interpretiert werden. Ähnlich der Ankerheuristik und dem Kontrastprinzip können dadurch neue Fakten und Informationen durch Setzen in einen fixen Kontext (Bezugsrahmen) verharmlost oder überbewertet werden.

Fehleranfälligkeit des menschlichen Gedächtnisses

Zu den Heuristiken kommt noch die Tatsache, dass das menschliche Gehirn fehlende Informationen und Erinnerungslücken ergänzt, ohne dass uns dies bewusst wird. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass rund 70% der Befragten falsche Zeugenaussagen bei einer Täteridentifizierung machten. Fehlende Informationen und Erinnerungslücken werden schlichtweg mit falschen Erinnerungen gemäß eigener Plausibilitätsüberlegungen aufgefüllt. Das Gehirn greift hierfür besonders auf eigene Annahmen, Erfahrungen und unbewusste Vorurteile zurück. In ihrem kürzlich erschienen Buch „The Memory Illusion“ konnte die Psychologin und Kriminologin Julia Shaw aufzeigen, dass es durch eine manipulative Gesprächsführung möglich ist, einzelne Erinnerungen umzuformen und gänzlich in ihr Gegenteil umzuprogrammieren.

 

Das Shell Modell

In Erkenntnis und Akzeptanz der menschlichen „Schwächen“ im Sinne eines „errare humanum est“ wurde in den letzten Jahrzehnten das Shell – Modell entwickelt. Das SHELL-Modell zeigt den Menschen (Liveware Individuum) als zentralen Akteur in Interaktion mit dem Arbeitsumfeld, bestehend aus den Komponenten S (Software, z. B. Richtlinien, Verfahren), H (Hardware, z. B. Instrumente, Werkzeuge), E (Enviroment, z. B. finanzielle Bedingungen) und L (Liveware Team), den anderen beteiligten Individuen. Aus der Güte der Passung zwischen L, dem zentralen Akteur mit seinen psychischen und physischen Eigenschaften (wie z. B. Sensorik, Motorik, Informationsverarbeitung, Bedürfnisse, Befindlichkeit, Körpermaße) und den anderen Systemkomponenten resultiert letztlich die Effizienz der Arbeitsleistung.

Systemfaktoren und individuelle Faktoren

Die Herausforderung an das Krankenhausmanagement besteht deshalb gerade darin, das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass der Mensch darin sicher und möglichst fehlerfrei arbeiten kann. Bei der Anschaffung der Arbeitsmaterialien (Hardware) ist auf die Nutzerfreundlichkeit zu achten. Medizingeräte müssen verlässlich funktionieren und leicht zu bedienen sein. Das Arbeitsumfeld (Liveware Team) sollte stressfrei gestaltet sein, die Dienstpläne so konzipiert sein, dass ein ausgewogener Qualifikation-Mix aus erfahrenen und unerfahrenen Mitarbeitern gewährleistet ist, sowie alle notwendigen Kompetenzen vor Ort sind oder schnell hinzugerufen werden können. Die Prozesse (Software) müssen klar definiert, effizient und jedem klar vermittelt sein. Die Mitarbeiter müssen vor Überlastungen geschützt werden, das Arbeitsumfeld motivierend gestaltet sein und eine kontinuierliche fachliche und persönliche Weiterentwicklung ermöglichen. Langfristig ist auf die Etablierung einer hochwertigen Sicherheits- und Vertrauenskultur abzuzielen, die das Ergebnis ethisch korrekter Einstellungen und Verhaltensweisen ist.

Systematisierung der Entscheidungsprozesse

Fordec

Ein besonders hilfreiches Verfahren für gute Entscheidungsprozesse kommt aus der Luftfahrt. Idealer Weise sollten sich alle Mitarbeiter damit vertraut machen. Das FORDEC- Verfahren hilft dabei, Entscheidungsprozesse, insbesondere in zeitkritischen Situationen, systematisch abzuarbeiten und besteht aus 5 Schritten.

  • F  FACTS – Sammeln der Fakten
  • O OPTIONS – Prüfen der Optionen
  • R RISKS AND BENEFITS – Abwägen der Risiken und Vorteile
  • D DECISION – Zu einer Entscheidung kommen
  • E EXECUTION – Ausführen der Entscheidung
  • C CROSS-CHECK – Kontrolle, ob die Entscheidung zum erwünschten Ziel geführt hat
    und ggf. Korrektur der Entscheidung

Choosing Wisely Initiative

Die Stiftung des American Board of Internal Medicine (ABIM) verfolgt seit 2012 mit der mittlerweile weltweiten Aktion „choosing wisely“ (www.choosingwisely.org) einen kritisch hinterfragenden Ansatz auf der Suche nach der Ratio (Logik) medizinischer Entscheidungen. Nach den beiden Leitsätzen „weniger ist mehr“ und „Dinge, die wir ohne Grund tun“ werden die Mediziner aufgefordert, zu reflektieren, welche Entscheidungen wirklich auf medizinischer Evidenz und welche auf unreflektiertem, schnell verfügbarem „Routinewissen“ (Heuristiken) basieren, um dadurch unnötige Untersuchungen und Therapien zu vermeiden.

Fazit:

Da wir nie vollkommen sicher sein können, wo genau die (medizinische) Wahrheit liegt, tun wir gut daran, Sicherheitsmechanismen in unsere Prozesse einzubauen, die unsere Fehleranfälligkeit reduzieren und unsere Diagnosegenauigkeit sowie Therapie optimieren. Entscheidend ist es zu akzeptieren, welch bedeutende Rolle der Faktor Mensch dabei spielt. Nur durch den Einbau von Sicherheitsredundanzen, z. B. durch das regelhafte Einholen von Zweitmeinungen und durch die Methodik einer partizipativen Entscheidungsfindung, wie sie z. B. im Rahmen onkologischer Fallkonferenzen seit Jahren erfolgreich praktiziert wird, können wir sicherer und somit besser werden. Ein klinisches Risikomanagement berücksichtigt solche „soft skills“ und ermöglicht deren Integration in den praktischen Klinikalltag.

9 Grundsätze für bessere Entscheidungen

  • Bleibe stets selbstkritisch und reflektiere deine Entscheidungen und dein Handeln
  • Unterstütze eine effektive interprofessionelle und interdisziplinäre Teamarbeit
  • Etabliere lebenslanges Lernen in der Arbeit
  • Stelle sicher, dass Technologie dein Arbeiten unterstützt bzw. verbessert und nicht unsicherer macht
  • Sprich über deine Fehler und lerne daraus
  • Installiere ein Risikomanagement-System und analysiere die Systemschwächen der Organisation
  • Schaffe Anreize für ein ethisch basiertes Arbeiten und belohne die Ehrlichen
  • Stelle adäquate Ressourcen und ausreichend kompetentes Personal zur Verfügung, um die Arbeit qualitativ hochwertig und sicher verrichten zu können

 

Gerne unterstützen wir Sie bei Fragen zur Optimierung des Human Faktors Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kontaktieren Sie uns unter Email: ae@euteneier-consulting.de

Wir bieten in regelmäßigen Abständen (Inhouse)-Ausbildungen und (Inhouse)-Seminare zur Verbesserung des Human Faktors. Schauen Sie auf unsere Webpage unter der Rubrik Akademie

Wie Mitarbeiter stressresistenter werden

Wie Mitarbeiter stressresistenter werden

Der richtige Umgang mit Stress

Der richtige Umgang mit Stress wird für den einzelnen Mitarbeiter immer bedeutsamer, die zunehmende Arbeitsverdichtung und Personalknappheit, gerade in klinischen Organisationen wird sich aufgrund des bestehenden wirtschaftlichen Drucks in absehbarer Zeit nicht ausreichend verbessern. Die Arbeitsbedingungen wie Zeitknappheit, breiteres Aufgabenspektrum, hohe Verantwortung und der omnipräsente Kostendruck können Überforderung und Burnout begünstigen, sie sind jedoch nicht die Ursache dafür. Ansonsten wäre ein Burnout aufgrund der genannten Faktoren bei jedem Mitarbeitenden früher oder später zu erwarten, dies ist Gottseidank nicht der Fall. Es gibt Menschen, die mit Stress und Belastungen besser umgehen können als andere.
Diese Fähigkeit des Umgangs mit Stress, auch Resilienz genannt, ist eine individuelle Kompetenz und lässt sich als solche auch entwickeln und trainieren. Für den Einzelnen wird es immer wesentlicher, sich um seine eigene Stressbewältigung aktiv zu kümmern. Wenn dies nicht geschieht, verstärkt sich der negative Kreislauf, führt weiterhin zu überlasteten Mitarbeitenden mit abnehmender Produktivität und Arbeitsausfällen, was wiederum durch die verbleibenden Mitarbeitenden abgefedert und kompensiert werden muss. Die jährlichen krankheitsbedingten Fehltage im Jahr 2016 betrugen 15,2 Tage pro Erwerbstätigem. (Quelle: TK-Gesundheitsreport 2017, Stichprobe von 7,3 Millionen Erwerbspersonen). Das Risiko einer Herzerkrankung wird durch ungeeignete Reaktionsweisen auf Stress (z.B. ungesunde Ernährung, weniger Sport, vermehrtes Zigarettenrauchen, schlechter Schlaf und höherer Alkoholkonsum) und durch Stress nachweislich noch weiter gesteigert. Stress gilt als Risikofaktor für Herz-Kreislauf Erkrankungen, der Zusammenhang zwischen Herzinfarkten und Stressbelastung ist seit Jahrzehnten bekannt. Die Anzahl der jährlichen Herzinfarkte ist immer noch sehr hoch, sie lag im Jahr 2016 in Deutschland bei 219.000 pro Jahr (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie). Die positiven Auswirkungen von Stress werden zwar immer reflexartig erwähnt und als natürliche Reaktionen des menschlichen Organismus beschrieben, diese sind jedoch im Vergleich zu den negativen und vor allem langfristigen Auswirkungen und Konsequenzen von Stress, äußerst gering.
Der in den letzten Jahren häufig beschriebene Begriff des „Burnouts“ ist als Endpunkt von diversen organisationalen Komponenten und individuellen Reaktionsmustern auf die Arbeitsanforderungen im Gesundheitswesen zu sehen. Für den bereits seit Jahren bestehenden, gravierenden Fachkräftemangel in der Pflege und den ärztlichen Berufen wird auf verschiedenen Ebenen nach Lösungen gesucht, bis es jedoch soweit ist, dass diese greifen, kann es noch viele Jahre dauern.
Daher braucht es ein höheres Maß an Eigenverantwortung und Eigeninitiative der einzelnen Mitarbeitenden, um geeignete Bewältigungsstrategien im Umgang mit Stress zu erwerben und für sich selbst individuelle Kompetenzen zur Stressbewältigung am Arbeitsplatz zu stärken. Diese können gelernt und trainiert werden, zahlreiche Ansätze und Methoden haben sich in Studien als effektiv erwiesen.

Ursachen hoher Stressbelastung:

Die zunehmende Überlastung der Mitarbeiter lässt sich auch in anderen Branchen, insbesondere in anderen sozialen Berufen erkennen, in Gesundheitseinrichtungen ist sie durch ein Zusammenwirken vieler negativer Faktoren jedoch besonders stark ausgeprägt. Zu den Hauptursachen tragen die organisationalen Arbeitsbedingungen bei. Gestiegene Flexibilitätsanforderungen, zu wenig Zeit für die Erledigung der einzelnen Tätigkeiten und permanenter Zeitdruck sind nur einige der Aspekte mit denen Mitarbeitende zurechtkommen müssen. Personelle Unterbesetzung und schlechte oder ineffiziente Arbeitsabläufe führen in Krankenhäusern in manchen Bereichen sogar dazu, dass an vielen Tagen keine oder nur stark verkürzte Pausen gemacht werden können. Dies stellt z. B. bei ärztlichen Tätigkeiten in den Notfallambulanzen von Schwerpunkt- oder Maximalversorgern nahezu den Normalfall dar.
Der ständige Zeitmangel führt zwangsläufig auch zu weniger zwischenmenschlichen Interaktionen am Arbeitsplatz, was meist in einer schlechteren Kommunikationsqualität resultiert. Dies kann sich als potentielle Fehlerquelle auch auf die Patientensicherheit auswirken und unnötige, weil vermeidbare Kosten nach sich ziehen.
Gerade Menschen, die in sozialen Berufen tätig sind, bringen häufig noch eine weitere persönliche Disposition mit, durch die es ihnen schwerer gelingt sich abzugrenzen und auf die eigenen Ressourcen zu achten. Der Wunsch, in einem sozialen Umfeld mit Menschen zu arbeiten, durch die eigene Tätigkeit anderen Menschen zu helfen oder sie zu unterstützen, birgt einen weiteren Risikofaktor für die stressbedingte Überforderung. Die Identifikation mit der Aufgabe und die gefühlte persönliche Verantwortung in der Patientenversorgung sind sehr hoch. Häufig sind es daher genau diese Mitarbeitenden, die sprichwörtlich auf ihrem Rücken, organisationale Defizite wie Personalknappheit, Ausweitung des Aufgabenspektrums, Übernahme fachfremder administrativer Tätigkeiten, kompensieren.
Zu den intrapersonellen Themen, die ein Risiko von psychischen Belastungsstörungen darstellen, gehören die zu geringen Entscheidungsfreiräume (Stichwort mangelnde Autonomie), und das hohe Maß an Fremdbestimmung insbesondere durch tätigkeitsfremde Vorgaben und überbordende Administration. Zu wenig Anerkennung und Lob für die geleistete Arbeit sowie mangelnde Wertschätzung im Umgang miteinander verringern die empfundene Zufriedenheit mit der Arbeit.
Wenn dazu noch die eigene hohe Anspruchshaltung (Innere Antreiber, z. B. sei perfekt, zeig keine Schwäche, usw.) und eine geringe Fähigkeit „Nein zu sagen“ dazukommen, ist das Risiko, in Richtung eines Burnouts zu steuern, sehr hoch.

Folgen hoher Stressbelastung:

Die mittel- und langfristigen Folgen der permanenten Überforderung von Mitarbeitenden haben Auswirkungen in drei Bereichen.

  • Persönliche
  • Ökonomische
  • Gesellschaftliche

Persönliche Auswirkungen

Unsere berufliche Tätigkeit ist zu einem wesentlichen Teil für unserer Lebensqualität mitausschlaggebend. Die Identifikation mit der eigenen Leistung und dem Inhalt der Tätigkeit bringen uns Freude und Sinnempfinden, es stärkt unseren Selbstwert und trägt dazu bei, unsere Identität zu formen und aufrechtzuerhalten.
Wenn diese Folgen ausbleiben oder sogar umgekehrt werden, indem wir unsere Arbeit als Quelle für Frustration und Erschöpfung erleben, können wir dies je nach Persönlichkeitstyp unterschiedlich lange kompensieren. Nachteilige Reaktionen und Symptome bleiben jedoch bei keinem Menschen aus. Sie setzen eventuell nicht in der gleichen Reihenfolge oder zum gleichen Zeitpunkt ein. Physische und psychische Erschöpfung führt zu innerem Rückzug bis hin zur inneren Kündigung. Zunehmend kann sich Gleichgültigkeit durch eine Abnahme von Empathie für andere entwickeln, beides eine Reaktion als Symptom von Überforderung.
Zu den körperlichen Reaktionen gehören verminderte Energie und Leistungsfähigkeit, andauernde Müdigkeit, Schwächung des Immunsystems und keine Kraft nach der Arbeit etwas zu unternehmen. Dadurch wird es unwahrscheinlicher, dass Stress durch positive Aktivitäten abgebaut werden kann und es zur notwendigen Regeneration kommen kann.
Unter den psychischen und kognitiven Reaktionen finden sich nachlassende Konzentration, Vergesslichkeit, eine verringerte innere Anteilnahme am Geschehen rings um einen herum, Gereiztheit, möglicherweise die Entwicklung einer Depression.
Zusammenfassend, es kommt zu einer abnehmenden Lebensqualität und verlorener Lebensfreude.

  • Kognitive Ebene: Denk- und Wahrnehmungsprozesse einschließlich deren Bewertung Selektive Wahrnehmung, verallgemeinern, katastrophisieren, Fatalismus
  • Emotionale Ebene: Gefühle und Befindlichkeiten Innerer Rückzug, Versagensangst, „keine Schwäche zeigen“, Gereiztheit, Sinnlosigkeit, Hoffnungslosigkeit
  • Körperliche Ebene: Unbewusste Reaktionen Vegetative und hormonelle Reaktionen z.B. Bluthochdruck, Ausschüttung von Cortisol Adrenalin, bewusste Reaktionen Muskuläre Verspannungen, Schwäche, Kopfschmerz, Müdigkeit, Schlafstörungen

Ökonomische Auswirkungen:

Kliniken und andere Organisationen im Gesundheitswesen müssen wie alle Unternehmen wirtschaftlich agieren, sie müssen Gewinne erzielen oder dürfen zumindest längerfristig keine Verluste erwirtschaften. Diesem Credo unterliegt jegliche Planung und Steuerung der Organisation. Dies zu negieren oder verändern zu wollen wäre nicht zielführend bzw. unrealistisch. Dennoch sollte stets mitberücksichtigt werden, dass die oben skizzierten strukturellen Mängel auf der Mitarbeiterebene, mittel- und langfristig zu deutlich erhöhten Kosten führen.
Der Kreislauf von schlechterer Versorgungsqualität aufgrund Stressbelastung führt zu Personalausfällen und Personalknappheit durch nicht besetzbare Stellen (wegen Fachkräftemangels oder geringer Attraktivität der Stelle), höherer Fehlerhäufigkeit bis hin zu Patientenschäden. Die daraufhin steigenden Haftpflichtprämien befördern zusätzlich die Kostenschraube.

Gesellschaftliche Auswirkungen:

Die Attraktivität der Berufe im Gesundheitswesen ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Jedoch halten frustrierende Arbeitsbedingungen durch permanenten Zeitdruck und der hohen körperlichen Arbeitsbelastung durch Nachtdienste, hohe Verantwortung in Kombination mit einer geringen finanziellen Entlohnung zunehmend viele junge Menschen davon ab sich für diese Berufe zu entscheiden. Diese personellen Lücken können nur kurz- und mittelfristig durch die zunehmende Stellenbesetzung mit ausländischen Mitarbeitenden kompensiert werden, denn auch diese unterliegen denselben Risiken für Überforderung.

Möglichkeiten der Stressbewältigung:

Für Mitarbeitende ist die individuelle Prävention der wichtigste Ansatz um stressbedingten Folgen entgegenzusteuern und die eigene Widerstandskraft (Resilienz) zu erhöhen.
Selbstverantwortung ist hierbei die erste und wichtigste Botschaft.
Eine realistische Einschätzung der eigenen Belastbarkeit und die Kenntnis der eigenen Stressquellen sind die Basis für den Aufbau von Methoden zur Stressbewältigung. Diese ermöglicht, frühzeitig auf erste Warnzeichen stressbedingter Überforderung zu reagieren.
Es gilt, die Belastungsquellen zu identifizieren und Möglichkeiten zu kennen, die auch in Alltagssituationen anwendbar sind, um übermäßige Belastung zu vermeiden und sich zu regenerieren. Nur eine individuelle Stressbewältigung führt zu höherer Resilienz und diese muss tagtäglich stattfinden, es reicht nicht, sich Stressregeneration für den Urlaub aufzuheben.

WAS: Wahrnehmung der eigenen Empfindungen (Selbstwahrnehmung) WIE:  Geeignete Entspannungsmethoden und Regenerationsmöglichkeiten finden

WAS: Denkmuster überprüfen auf Lösungsorientierung (Selbstverantwortung) WIE: Kraftquellen und sinnstiftende Aktivitäten außerhalb der Arbeit finden

WAS: Realistische Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit WIE: Die eigenen Stärken und Potentiale erkunden und darauf fokussieren

WAS: Erkennen von Stressquellen und Reaktionsmustern WIE: Soziale Beziehungen stärken (Zeit reservieren für Freunde und Familie)

WAS: Aktiver Umgang mit Schwierigkeiten, Lösungsorientierung WIE: Optimistische Grundhaltung erlernen und lernen in der Gegenwart zu leben

Alltagstaugliche Strategien finden

Wie berechtigt Klagen über die Arbeitsumstände, die zunehmende Arbeitsverdichtung und den empfundenen Stress auch sein mögen, an der individuellen Belastung verändern werden sie nichts. Nur mit Eigeninitiative kann der Einzelne den negativen Auswirkungen etwas entgegensetzen.
Belastungen und überfordernde Situationen werden immer vorhanden sein. Dass neben der individuellen Prävention und der Arbeit an den eigenen Bewältigungsstrategien auf jeden Fall auch die Organisationen große Aufgaben zu bewältigen haben, ist selbstredend. Nur darauf zu hoffen, dass sich die Arbeitsbedingungen seitens der Organisation irgendwann optimal ausrichten werden, bringt jedoch nichts. Auf organisationaler Ebene ist in den letzten Jahren durch den Gesetzgeber einiges in Gang gesetzt worden, z.B. das Präventionsgesetz für die betriebliche Gesundheitsförderung, das seit Juli 2015 in Kraft ist und die Unternehmen verpflichtet, für ein Arbeitsumfeld zu sorgen, dass den Erhalt der Gesundheit fördert.
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung.html
In erster Linie ist es eine eigenverantwortliche Aufgabe jedes Einzelnen, wirksames Selbstmanagement zu betreiben, gut für sich selbst zu sorgen, sich gesund und leistungsfähig zu erhalten. Es gibt dafür hilfreiche Strategien und Bewältigungsansätze, die gerade in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der individuellen Prävention gerückt sind. In diese Strategien sind Erkenntnisse und bewährte Ansätze aus der Stressforschung und der Depressionsbehandlung (z.B. MBSR Programme) eingeflossen. Dazu gehören Entspannungsverfahren wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung, Yoga, oder lediglich Übungen zum richtigen Atmen, Kurzmeditationen und Sport.

Mitarbeitende sollten sich unter professioneller Anleitung mit der eigenen Stressbewältigung auseinandersetzen und dabei eine individuelle, Resilienz fördernde Strategie entwickeln und üben diese konkret anzuwenden und im beruflichen Alltag beizubehalten. Dies kann in einem vom Arbeitgeber oder den Krankenkassen angebotenen Seminar oder Kurs zum Thema Stress und Resilienz gelernt werden. Bei der Auswahl eines Kurses sollte darauf geachtet werden, dass der Kursanbieter fachlich qualifiziert ist und einen ganzheitlichen und individuellen Ansatz nutzt. Kurse, die nur eine Methode propagieren oder nur eine Art der Stressbewältigung vorgeben, sind wenig nachhaltig, da sie vernachlässigen, dass Menschen sehr unterschiedlich reagieren und unterschiedliche Lösungsstrategien wirksam sind. Was für den einen Mitarbeitenden eine hilfreiche Methode darstellt kann bei dem nächsten wenig hilfreich bis kontraproduktiv sein, indem es Erfolgsdruck aufbaut und so eine zusätzliche Belastung darstellt. Es gilt, die eigenen Stressquellen und die eigenen Reaktionsmuster zu erkennen und dafür eine passende individuelle Strategie zu entwickeln.

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Auf dem Weg zu einer fehlerresilienten Arztpraxis

Auf dem Weg zu einer fehlerresilienten Arztpraxis

Die Frage nach der Sicherheitskultur

Eine hohe Sicherheitskultur im Setting einer ärztlichen Praxis zu erreichen, ebenso wie in einem Krankenhaus, einer Reha-Einrichtung oder einem MVZ, sollte unser aller Ziel sein. Jedoch erscheint der Weg dorthin häufig unklar und, falls schon beschritten, mühsam und steil. Sicherheitskultur kann nicht verordnet werden, sondern ist das Gesamtresultat aller medizinischen (ärztlichen und pflegerischen) und nichtmedizinischen (Verwaltung, Logistik & Einkauf) Handlungen, die wiederum maßgeblich durch die individuellen Einstellungen und Haltungen der Mitarbeiter geprägt werden. Kritisch wird es, wenn auf großen Infoflyern für Patienten von einer hohen Sicherheitskultur gesprochen wird, ohne näher zu erläutern, an welchen Argumenten diese Aussage fest gemacht wird. Sicherheitskultur beschreibt primär neutral einen Teilaspekt der vor Ort herrschenden Betriebskultur, die sowohl fehlerresilient im Sinne einer hohen Patientensicherheit sein kann, als auch stark fehleranfällig als Ausdruck einer hohen Schadensquote bzw. Komplikationsrate. Betriebskulturen können durchaus unterschiedlich geprägt sein, zum Beispiel von sachlich & kühl bis hin zu jovial & warmherzig und dennoch eine gleich hohe, fehlerresiliente Sicherheitskultur vorweisen.
Maßgeblich wird die vorherrschende Sicherheitskultur durch die Führungskräfte geprägt. Führungskräfte leben vor, was dann zum Maßstab für das Handeln der anderen wird. Sie treffen zudem die strategischen Entscheidungen, zum Beispiel zur Durchführung von Risikoanalysen bzw. Fehlerursachenanalysen und finanzieren Maßnahmen zur Reduzierung von Patientenrisiken.

Die Entscheidung zum Handeln

Die Leitungen von Arztpraxen, i.d.R. sind dies die ärztlichen Praxisinhaber, aber auch zunehmend übergeordnete, nichtärztliche kaufmännische Leitungen größerer Praxisverbünde, tun gut daran, sich Ihrer Verantwortung hinsichtlich der Gewährleistung einer hohen Patientensicherheit bewusst zu werden. Der Patient hat Anspruch auf eine Behandlung gemäß Facharztstandard, bei der alle voll beherrschbaren Risiken auch voll beherrscht werden. Was dies im Einzelfall bedeutet, kann nicht immer vorweg festgelegt werden. Kommt es zu einem Schadenfall, wird häufig ex ante durch medizinische Sachverständige die Frage hinsichtlich einem schuldhaften Verhalten der Beteiligten beantwortet. Zunehmend urteilen Gerichte im Sinne eines Organisationsverschuldens. Dies bedeutet in ihrer letzten Konsequenz, dass die ärztliche Leitung haftbar für ein fehlerhaftes Verhalten ihrer Angestellten gemacht werden kann, obwohl die Führungsperson nicht unmittelbar mit dem fehlerhaften Vorgang befasst war. Aufgrund dessen wird es zunehmend wichtig ein umfassendes klinisches Risikomanagement zu etablieren. Dieses Managementsystem sollte jedoch gut in die bereits etablierten Prozesse integriert werden und lediglich die Perspektive des ärztlichen Handels erweitern.

Die Führung und das Team

Es wird schnell klar, dass eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung ausschließlich im Teamverbund erfolgen kann. Können im Krankenhaus noch ärztliche Spezialisten zu Rate gezogen werden, ist dies im Setting einer Arztpraxis häufig nicht mehr möglich. Zudem werden zum Teil komplexe Aufgaben von medizinischen Fachangestellten oder völlig ungelernten Hilfskräften durchgeführt. Insbesondere in diesem Setting kann bei Verletzung der Aufsichtspflicht bzw. unsachgemäßer Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf nicht ärztliches Personal schnell eine fehleranfällige Sicherheitskultur entstehen. Dies muss der ärztlichen oder kaufmännischen Führung bewusst sein. Argumente des Spardrucks oder des Personalmangels sind im Falle einer juristischen Aufarbeitung von Schadenfällen völlig nebensächlich und schaden eher dem Vorbringenden. Hinsichtlich der Erfüllung der facharztgerechten Patientenbehandlung ist stets die ärztliche Führung verantwortlich. Auch die Mitarbeiter können das Ihre zu einer hohen Sicherheitskultur beitragen. Das Team ist wachsam bei der Detektion möglicher und bereits eingetretener Fehlern und korrigiert diese schnellstmöglich. Es besteht eine hierarchiefreie Kommunikation über alle Berufsgrenzen hinweg. Gut funktionierende Teams haben einen positiven Teamspirit, der motiviert und gleichzeitig sensibilisiert für alle betrieblichen Abläufe. Regeln werden so besser eingehalten oder sind mitunter ganz obsolet aufgrund einer hohen intrinsischen Compliance.

Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit

Häufig wird das Kostenargument vorgeschoben, um Maßnahmen im Rahmen des klinischen Risikomanagements als zu teuer oder zeitlich aufwendig abzutun. Es zeigen nun aber erste große internationale Studien, wie zum Beispiel die OECD-Studie von 2017, dass gerade im Setting eines Krankenhauses, diese Wahrnehmung völlig falsch ist. Mehr und mehr wird erkannt, dass Maßnahmen, zum Beispiel zur sicheren Medikation zu einer beträchtlichen Kostenersparnis führen. Die Hygiene und das Infektionsmanagement, die Behandlung chronischer Wunden sowie multimorbide Patienten mit Harnwegskatheter sind weitere Beispiele, in den Studien gezeigt haben, dass Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind, sondern miteinander in enger Korrelation stehen. 

Fazit

Ziel ist die Etablierung einer fehlerresilienten Sicherheitskultur, die im idealen Fall ohne ein sanktionierendes Regelwerk sowie vorgelebt durch die Führung und praktiziert durch intrinsisch motivierte Mitarbeiter erreicht wird. Dazu benötigt es vorweg ein starkes Committment der Führung um bedarfsgerechte und effektive Maßnahmen einzuleiten. Gut funktionierende Teams sind hierbei in jeder Hinsicht der Schlüssel zum Erfolg. Werden Prozesse dahingehend reorganisiert und anhand valider Kennzahlen gesteuert, wird nicht nur die Patientensicherheit sondern ebenso die Wirtschaftlichkeit signifikant verbessert.

Gerne unterstützen wir Sie bei Ihrer Risikoanalyse. Kontaktieren Sie uns unter Email: ae@euteneier-consulting.de

Risikoanalysen im Setting einer Arztpraxis

Risikoanalysen im Setting einer Arztpraxis

Erfassung klinischer Risiken in der Arztpraxis

Klinische Risiken sind in der Regel schwer vorhersehbar und prospektiv lediglich durch Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens bezifferbar. Jedoch belegen statistische Auswertungen mit hohen Wiederholungen von Ereignissen, dass sich Risiken, gemäß dem Gesetz der großen Zahlen, statistisch sehr wohl präzise vorhersagen lassen. Aus dem puren Zufall eines Einzelereignisses wird so eine wissenschaftlich belegbare Größe. Betrachten wir Schadensquoten großer Patientenkollektive, über die zum Beispiel Krankenkassen oder Versicherungsunternehmen verfügen, werden aus vermeintlich zufälligen Einzelereignissen schnell nicht zu akzeptierende Patientenschäden, die jeden Verantwortlichen in der Versorgungskette zum Handeln auffordern.
Allerdings zeigt dies bereits die erste Schwierigkeit im Sektor der ambulanten Patientenversorgung auf, nämlich den Mangel an validen, objektiven Daten bezüglich der Manifestation verschiedener Risiken bzw. daraus manifestierter Patientenschäden. Aufgrund dessen behilft man sich mit indirekten Messverfahren, indem man Strukturqualität und Prozessqualität, sowie, falls vorhanden, Ergebnisqualität als Gradmesser einer sicheren – risikoarmen – Patientenversorgung verwenden. Doch eine neutrale, objektive und damit vergleichbare Bewertung der Ergebnisqualität ist über die gesamte komplexe Versorgungskette, bezogen auf den einzelnen Leistungserbringer, nur schwer zu erreichen.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Betrachtung von Risiken in Arztpraxen besteht darin, dass sich potentielle Risiken so heterogen darstellen, wie das Spektrum der angebotenen medizinischen Leistungen. Das Risikoprofil einer Allgemeinarztpraxis unterscheidet sich wesentlich vom Risikoprofil einer onkologischen Facharztpraxis. Hinzu kommt, dass sich die Risiken auch innerhalb einer Versorgungsdisziplin teils deutlich unterscheiden, z. B. aufgrund des Umfangs an verfügbaren apparativen Ressourcen, der Anzahl an qualifizierten Mitarbeitern und dem lokalen Patientenspektrum (Großstadtkiez versus ländliches Umfeld).
Allen Praxisverantwortlichen wird bewusst sein, dass es nur durch ein strukturiertes, klinisches Risikomanagement, d. h. anhand eines planvollen bewussten Umgangs mit potentiellen Risiken, möglich ist, die arztpraxisspezifischen Patientenrisiken auf ein akzeptables Maß, gemäß WHO-Definition für Patientensicherheit, zu reduzieren. Hierbei muss insbesondere der Aspekt des aktiven und prospektiv-vermeidenden Umgangs mit Risiken hervorgehoben werden.

Struktur des Risikomanagements-Prozesses gemäß ISO 31000:

  • Risikoidentifikation
  • Risikoanalyse
  • Risikobewertung
  • Risikomaßnahmen

Die Risikoidentifikation lässt sich im Setting der Arztpraxis auf Basis des individuellen Erfahrungsschatzes der Leitung und der Mitarbeiter in der Regel ohne größerem Aufwand durchführen. Gewöhnlich kennen alle Beteiligten die Schwachstellen und Bereiche, in denen besonders risikobehaftete Prozesse anfallen. In einer onkologischen Facharztpraxis sind dies im Wesentlichen die Bereitstellung und Applikation von Zytostatika, die Vorkontrolle und Überwachung der Patienten während der Chemotherapie, die Überprüfung der Wirksamkeit der Therapie sowie das frühzeitige Erkennen gefährlicher Komplikationen.
Nach Benennung der spezifischen Risiken kommt der Risikoanalyse die Aufgabe zu, anhand belastbarer Daten, die überwiegend aus der Arztpraxis selbst, respektive aus den praktizierten Prozessen generiert werden, eine aussagekräftige Beschreibung der identifizierten Risiken durchzuführen. Dies erfolgt zum Beispiel durch ein von unabhängiger Seite durchgeführtes Risiko-Audit oder Auswertung einer Schadensstatistik. Die Daten müssen hierbei auf ihre Relevanz hin bewertet werden und sollten so objektiv wie möglich taxonomiert werden. Des Weiteren sollten auch potenzielle, zukünftige Risiken berücksichtigt werden. In der Risikoanalyse spiegeln sich der gesamte Planungsprozess und die Risikopolitik der Organisation. Dabei ist eine subjektive Bewertung der erhobenen Risiken im Kontext der Arztpraxis noch nicht vorzunehmen. Diese erfolgt im nächsten Schritt der Risikobewertung. Ziel der Risikoanalyse ist die Schaffung einer reliablen Datenbasis und das Aufzeigen des vorliegenden Risikoprofils, auf dessen Basis im nächsten Schritt eine subjektive Bewertung spezifisch im Kontext der eigenen Arztpraxis folgen kann.
Bei der Risikobewertung erfolgt eine Festlegung, welche Risiken priorisiert und mittels zielgerichteter risikoreduzierender Maßnahmen angegangen werden sollen.
Erst nach Durchführung risikoreduzierender Maßnahmen und Kontrolle ihrer Effektivität im Sinne eines Risikocontrollings kann von einem vollständigen klinischen Risikomanagement gesprochen werden. Kurzzeitige Nebeneffekte der Risikoanalyse im Sinne eines Hawthorne-Effektes (Beobachtungseffekt), wie ein verstärktes Bewusstsein für risikobehaftete Prozesse, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass nachhaltige, teils tiefgreifende und kontinuierliche Veränderungen stattfinden müssen, um für eine möglichst hohe Sicherheit im Praxisalltag zu sorgen.

Es bieten sich 4 klassische Prinzipien einer Risikostrategie für Risikomaßnahmen an:

  • Vermeidung von Risiken durch umsichtige Patientenselektion sowie ausgewähltes Angebot an sicheren Therapiemaßnahmen im Setting der Arztpraxis
  • Transferieren von Risiken auf Dritte, wie z. B. Haftpflichtversicherungen
  • Proaktives reduzieren der Risiken durch ein gelebtes Risikomanagement
  • Akzeptieren unvermeidbarer Restrisiken mit dem Anspruch, diese Risiken kontinuierlich zu überwachen und bei absehbarer Manifestation schnellstmöglich adäquat darauf zu reagieren

Die sichere Patientenbehandlung mit begrenzten Ressourcen

Eine wesentliche Besonderheit von Arztpraxen im Vergleich zu Krankenhäusern und Fachkliniken liegt darin, nur begrenzt auf kollegiale Expertise anderer Fachdisziplinen und weiteren erfahrenen Kollegen zeitnah zugreifen zu können, sowie nur eingeschränkt über Medizingeräte wie CT, MRT und spezieller Labordiagnostik zu verfügen. Das hohe Patientenaufkommen und ökonomische Zwänge erfordern die Erstellung von Diagnosen und Anordnung/Durchführung entsprechender Therapien unter großem Zeitdruck. Die Nachverfolgung der angeordneten Maßnahmen kann im Einzelfall schwierig bis unmöglich sein, insbesondere wenn Komplikationen in der Klinik weiterbehandelt werden und ein Feedback an den niedergelassenen Arzt unterbleibt. Dies stellt eines der größten strukturellen Defizite in der sektoralen Versorgung dar, dass es an deren Schnittstellen zu wesentlichen Informationsverlusten und ausbleibenden Rückmeldungen kommt. Hier kann, wie z. B. in Dänemark bereits praktiziert, die digitale Vernetzung als virtuelle Schnittstelle ein guter Lösungsansatz sein. Nur durch reibungslose Feedbackschleifen und schnellem Austausch wichtiger Informationen wird es gelingen eine sichere Patientenversorgung über die Sektorengrenzen hin zu ermöglichen.

Durchführung von Risikoanalysen

Grob skizziert müssen 3 Aspekte im Rahmen einer zielgerichteten Risikoanalyse beachtet werden:

  • Festlegung der Analysemethode vorab, um u.a. auch Wiederholungen zu erlauben
  • Spezifische Fragestellungen definieren, je nach Risikoprofil und eigenen Erfahrungswerten
  • Objektive Durchführung und Dokumentation der Risikoanalyse

Der Erfolg einer effektiven und effizienten Risikoanalyse liegt in der Auswahl der richtigen Methode und in ihrer bedarfsadaptierten Strukturierung. Zur Durchführung von Risikoanalysen können verschiedene Werkzeuge, wie z. B. Risiko-Audits, die Auswertung von Schadensstatistiken oder Schadenfallbesprechungen verwendet werden. Wichtig ist, dass die Methoden transparent nach klaren Kriterien ausgewählt werden. Darin liegt für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen die größte Herausforderung, da nicht immer vorausgesetzt werden kann, dass sie über das methodische Know How sowie die notwendige Erfahrung bezüglich dieser Verfahren verfügen. Hier bietet es sich an, sich beraten und anleiten zu lassen, umso ohne großes Experimentieren schnell zum gewünschten Ziel zu kommen. Mit Erlernen des methodischen Wissens und Sammeln praktischer Erfahrung gehen die Aufgaben in die Verantwortung der Praxisleitungen über.

4 Hauptrisikobereiche in Arztpraxen

Es lassen sich 4 Hauptrisikobereiche identifizieren, die es primär anzugehen gilt:

  • Diagnosefehler
  • Hygienemängel
  • Ärztliche Dokumentationsmängel
  • Medikationsfehler

Die Wahrscheinlichkeit eines Diagnosefehlers im ambulanten Setting ist im Vergleich zu Kliniken relativ hoch. Es ist naheliegend, dass aufgrund der begrenzten apparativen Diagnostik und Personalausstattung eine höhere Fehlerquote zu erwarten ist. Hier gilt es, ein sinnvolles und vertretbares Maß an Sicherheit anzustreben. Wichtig ist es, selbst unter Zeitdruck stets sensibel für mögliche vitale Bedrohungen und Komplikationen zu bleiben und Risikoeinschätzungen durchzuführen. Bereits die kurzfristige Wiedereinbestellung und Nachkontrolle von Patienten mit unklaren Befunden und höherem Risikopotential kann neue wertvolle Informationen liefern. Ein nachhaltiges Risikomanagement verlangt einen wirtschaftlich sinnvollen Einsatz der verfügbaren Ressourcen. Dementsprechend kann nicht bei jedem Kopfschmerz eine CT des Schädels oder bei jedem Rückenschmerz eine MRT der Wirbelsäule erfolgen. Es besteht ansonsten die Gefahr einer Defensiv- bzw. Sicherheitsmedizin mit unnötigen, teils selbst gefährlichen, da invasiven diagnostischen Absicherungsmaßnahmen.
Fachgerechte Hygienemaßnahmen spielen insbesondere bei der Punktion von Gelenken und Spinalkanal oder bei immunsupprimierten Patienten eine wichtige Rolle. Auch wenn diesbezüglich vergleichbare, valide Daten fehlen, so weist vieles darauf hin, dass es noch deutliche Unterschiede in der korrekten Umsetzung der vom Robert-Koch-Institut und den Fachgesellschaften vorgegebenen Leit- und Richtlinien gibt.
Die ärztliche Dokumentation ist das dritte Feld, in welchem Verbesserungsbedarf besteht. Die ärztliche Dokumentation dient nicht nur als Beleg für die Leistungserbringung, sondern schützt den Arzt/Ärztin vor ungerechtfertigten Vorwürfen von Behandlungsfehlern. Im Zeitalter der Vernetzung könnten und sollten diese Informationen den Kollegen anderer Versorgungseinheiten schnell zugänglich gemacht werden, sodass der aktuell Behandelnde sich sofort ein umfassendes und vor allem aktuelles Bild machen kann (siehe eArztbrief). Dies dient der diagnostischen Genauigkeit, spart Ressourcen und erhöht somit die Patientensicherheit bzw. Versorgungsqualität.
Medikationsfehler sind ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld für das klinische Risikomanagement. Eine aktuelle Studie der WHO hat ergeben, dass bis zu 10% der Krankenhauseinweisungen sich auf Medikationsfehlern zurückführen lassen. Davon wird etwa ein Fünftel durch grundsätzlich vermeidbare Medikationsfehler verursacht. Niedergelassene Ärzte können und müssen hier als Kontrolleur der gesamten Patientenmedikation fungieren. So sollten in regelmäßigen Abständen Plausibilitätsüberprüfungen erfolgen und kritisch bestehende Dauermedikationen hinterfragt werden. Die seit 1. Oktober 2016 rechtlich verbindliche Einführung eines bundeseinheitlichen Medikationsplans ist hier ein erster Schritt in die richtige Richtung, um Transparenz und Übersichtlichkeit zu erreichen. Inwieweit damit Medikationsfehler signifikant verringert werden können, wird die Zukunft zeigen.

Fazit:

Die Implementierung sowie kontinuierliche Optimierung eines klinischen Risikomanagement in Arztpraxen ist weder das Einfordern von etwas Unmöglichem noch unmittelbar mit hohen Investitionskosten verbunden. Vielmehr wird es zunehmend wichtiger, sich bewusst mit Patientenrisiken zu beschäftigen, um Komplikationen und Behandlungsfehler soweit als möglich zu reduzieren. Ein strukturierter systematischer Ansatz erleichtert hierbei die Zielerreichung und verringert zudem langfristig den Kostenaufwand.

Gerne unterstützen wir Sie bei Ihrer Risikoanalyse. Kontaktieren Sie uns unter Email: ae@euteneier-consulting.de

ISO 9001 (2015) – Auswirkungen auf das Qualitätsmanagement und Risikomanagement

ISO 9001 (2015) – Auswirkungen auf das Qualitätsmanagement und Risikomanagement

Die neue ISO 9001 (2015) ist veröffentlicht und wird ab 2018 nach einer Übergangsphase von 3 Jahren zum ersten Mal verbindlich zertifiziert. Die International Organization for Standardization hat nunmehr auch das Topic risikobasiertes Denken (im unternehmerischen Kontext) in den Fokus gerückt. Dabei werden Risiken stets auch als möglichen Chancen gesehen.

Die ISO 9001 greift den allgemein spürbaren Trend in der Wirtschaft auf, risikobasiertes Denken in alle Prozesse, von der Planung, Durchführung, Evaluation und Korrektur, gemäß dem PDCA-Zyklus, zu integrieren. Dabei kann die neue ISO 9001 (2015) dahingehend interpretiert werden, dass es sich dabei um eine Erweiterung des bestehenden Qualitätsmanagement-Systems handelt, und nicht um ein eigenständiges neues Risikomanagement-System. Hier verweist die ISO 9001(2015) bewusst auf die bereits bestehende ISO 31000 (2009), die sich laut OECD quasi als Weltstandard für Risikomanagement-Systeme etabliert hat.

Die wichtigsten Neuerungen zum risikobasierten Denken befinden sich in den Abschnitten 4, 5 und 6. In Abschnitt 4 wird darauf verwiesen, dass „Die Organisation verpflichtet ist ihre QMS-Prozesse zu definieren und ihre Risiken und Chancen zu benennen. In Abschnitt 5 wird die Führung in die Pflicht genommen, analog der Forderung des gemeinsamen Bundesausschuss, "ein Bewusstsein zu schaffen für risikobasiertes Denken (Promote awareness of risk-based thinking) und Risiken und Chancen zu bestimmen, die Einfluss auf die Produkt/Dienstleistung-Konformität haben (Determine and address risks and opportunities that can affect product /service conformity). In Abschnitt 6 schließlich werden diese neuen Aspekte mit dem Qualitätsmanagement verbunden, indem die Organisation in die Pflicht genommen wird, Risiken und Chancen in Verbindung mit der QMS-Performance zu identifizieren und adäquate Maßnahmen zu ergreifen, um diese zu adressieren (the organization is required to identify risks and opportunities related to QMS performance and take appropriate actions to address them).

Inwieweit sich die neuen ISO 9001 (2015) - Vorgaben in praktische Maßnahmen und adaptierte Prozesse übersetzen lassen, wird sich noch zeigen. Jedenfalls erscheint es nur sinnvoll und konsequent, das Thema Chancen und Risiken in den unternehmerischen Gesamtprozess des Qualitätsmanagements zu integrieren.

Diese erweiterte Denkweise in den klinischen Alltag zu integrieren, stellt eine große Herausforderung dar, da bei aller Beliebtheit und Verbreitung des ISO 9001-Standards der Transfer in die bestehenden Prozesse der Patientenversorgung stets einer konzertierten und wohlüberlegten Herangehensweise bedarf, um so das größtmögliche Potenzial aus der neuen ISO 9001 (2015) heraus zu holen.